Kältesprödigkeit

Bedeutung, Ursachen und Anwendungen

Inhalt

Was ist Kältesprödigkeit?

Kältesprödigkeit beschreibt das Verhalten von Materialien wie Elastomeren (Gummi) und Kunststoffen, wenn sie bei niedrigen Temperaturen ihre Elastizität verlieren und spröde werden. Dieses Phänomen tritt auf, wenn die Temperatur unter den Glasübergangspunkt (Tg) oder die Sprödbruchtemperatur des Materials sinkt. Bei Erreichen dieser Temperatur ändert das Material seine Eigenschaften von flexibel zu hart und brüchig.

Zusammenhang zwischen Kältesprödigkeit und Kälteentgratung

Die Kälteentgratung nutzt das Prinzip der Kältesprödigkeit gezielt aus. Während der Hauptkörper eines Werkstücks elastisch bleibt, werden feine Grate durch Abkühlen auf Temperaturen unterhalb des Glasübergangspunkts spröde und brechen durch mechanische Einwirkung ab. Die Shore-Härte eines Elastomers beeinflusst den Glasübergangspunkt und somit die notwendige Abkühlung:

  • Weiches EPDM (Shore-A 40): Abkühlung auf Temperaturen unter -120 °C erforderlich.
  • Hartes EPDM (Shore-A 80): Bereits bei -70 °C spröde genug für die Entgratung.
  • Silikon: Besitzt eine hohe Kältebeständigkeit und bleibt auch bei -100 °C elastisch, weshalb es besonders tiefe Temperaturen benötigt.

Ursachen der Kältesprödigkeit

Die Kältesprödigkeit wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst:

  • Glasübergang: Bei Unterschreiten des Glasübergangspunktes (Tg) ändert das Material sein Verhalten von elastisch zu spröde.
  • Molekülstruktur: Materialien mit starren Polymerketten oder geringer Molekularbeweglichkeit sind anfälliger.
  • Füllstoffe: Zusatzstoffe wie Ruß oder Silica beeinflussen die Kälteeigenschaften des Materials.
  • Shore-Härte: Härtere Materialien haben in der Regel höhere Glasübergangstemperaturen als weichere.

Messung der Kältesprödigkeit

Die Kältesprödigkeit eines Materials wird mithilfe standardisierter Verfahren bestimmt:

Kältesprödigkeitstest

  1. Abkühlung: Das Material wird schrittweise auf niedrige Temperaturen abgekühlt.
  2. Belastung: Das Material wird einer mechanischen Belastung wie Biegung oder Schlag ausgesetzt.
  3. Bruchprüfung: Die Temperatur, bei der das Material bricht, wird als Sprödbruchtemperatur ermittelt.

Standardnormen

  • DIN EN ISO 812: Bestimmung der Kältesprödigkeit von Gummi.
  • ASTM D746: Verfahren zur Ermittlung der Kältesprödigkeit von Kunststoffen.

Materialien und ihre Kältesprödigkeit

Verschiedene Materialien reagieren unterschiedlich auf niedrige Temperaturen. Nachfolgend ein Überblick:

Material Glasübergangstemperatur (Tg) Empfindlichkeit Typische Anwendungen
NR (Naturkautschuk) -60 °C Gering Reifen, Dichtungen
EPDM -50 °C Gering Dachabdichtungen, Automobildichtungen
Silikon -100 °C bis -130 °C Sehr gering Medizinprodukte, Dichtungen, Isolierungen
NBR -40 °C Mittel O-Ringe, Schläuche
PVC (Polyvinylchlorid) -20 °C Hoch Fensterprofile, Rohre

Anwendungsbereiche der Kältesprödigkeit

Die Kältesprödigkeit spielt eine wichtige Rolle in verschiedenen Industrien:

Automobilindustrie

  • Reifen: Verwendung von Elastomeren mit niedrigen Glasübergangstemperaturen, um Risse zu vermeiden.
  • Dichtungen: EPDM und Silikon für Türdichtungen, die auch bei kalten Temperaturen flexibel bleiben.

Bauindustrie

  • Dachabdichtungen: Verwendung von kältebeständigen EPDM-Materialien.
  • Fensterprofile: Einsatz von Kunststoffprofilen mit optimierten Eigenschaften gegen Sprödbruch.

Medizintechnik

  • Silikonprodukte: Hochkältebeständige Schläuche, Dichtungen und Prothesen.

Luft- und Raumfahrt

  • Dichtungen: Spezialelastomere, die bei extremen Temperaturen stabil bleiben.

Vorteile des Verständnisses der Kältesprödigkeit

  • Sicherheit: Verhindert Materialversagen in kalten Umgebungen.
  • Effizienz: Reduzierung von Produktionsausfällen durch gezielte Materialauswahl.
  • Präzision: Erleichtert die Planung von Entgratungsprozessen bei Elastomerteilen.

Herausforderungen im Zusammenhang mit der Kältesprödigkeit

  1. Materialkosten: Hochkältebeständige Materialien sind teurer als Standardmaterialien.
  2. Prüfaufwand: Aufwendige Tests zur Ermittlung der Glasübergangstemperatur.
  3. Anpassung: Gezielte Materialmodifikationen durch Additive können die Eigenschaften verbessern, erhöhen jedoch den Produktionsaufwand.

Vergleich: Kältebeständigkeit verschiedener Materialtypen

Materialtyp Kältebeständigkeit Typische Anwendungen
Elastomere (z. B. Silikon, EPDM) Sehr hoch Dichtungen, Schläuche, Prothesen
Thermoplaste (z. B. PVC, PA) Variabel Fensterprofile, Gehäuse
Duroplaste Mittel Isolierungen, Strukturbauteile

Häufige Fragen zur Kältesprödigkeit

  1. Wie beeinflusst die Kältesprödigkeit die Kälteentgratung? Die Kälteentgratung nutzt den Effekt der Kältesprödigkeit, um Grate zu entfernen, während das Hauptmaterial flexibel bleibt.
  2. Warum ist Silikon so kältebeständig? Die Molekülstruktur von Silikon bleibt auch bei sehr niedrigen Temperaturen flexibel.
  3. Kann man die Kältesprödigkeit von Materialien verbessern? Ja, durch die Zugabe von Weichmachern oder speziellen Additiven.
  4. Welche Materialien eignen sich für extreme Kälte? EPDM, Silikon und spezielle Hochleistungspolymere wie Fluorelastomere (FKM).

Fazit: Kältesprödigkeit als Schlüsselfaktor in der Materialauswahl

Die Kältesprödigkeit ist ein wichtiger Parameter bei der Auswahl von Materialien für Anwendungen in kalten Umgebungen. Für die Kälteentgratung ist es entscheidend, Materialien gezielt unter den Glasübergangspunkt abzukühlen, um präzise und materialschonend Grate zu entfernen. Das Verständnis der Glasübergangstemperatur trägt zur sicheren und effizienten Produktentwicklung in Bereichen wie der Automobil-, Bau- und Medizintechnik bei.